Rechtsgutachten, Juli 2023: Abstract
I. Ziel
Seit der Covid-19 Pandemie ist die Telearbeit zu einem Bestandteil der Arbeitswelt geworden. Aufgrund der zahlreichen Anfragen von Unternehmen und Grenzgängern, hat die Task Force Grenzgänger 3.0 der Großregion (TFG 3.0) im Auftrag ihrer Projektpartner ein Rechtsgutachten zur Frage der Konstituierung einer Betriebsstätte im grenzüberschreitenden Kontext erarbeitet, mit dem Ziel Klarheit über dieses Thema zu geben und die Ausübung der grenzüberschreitenden Telearbeit zu vereinfachen.
II. Beschreibung der Problematik
Während im Bereich des Sozialversicherungsrechts Fortschritte hinsichtlich der grenzüberschreitenden Telearbeit erzielt wurden, gibt es im Steuerrecht noch offene Fragen, insbesondere die der Gründung einer Betriebsstätte durch die grenzüberschreitende Telearbeit im Wohnsitzstaat des Grenzgängers. Mangels einer einheitlichen Begriffsdefinition und aufgrund der unterschiedlichen Auslegung sowie Einschätzung in den Staaten der Großregion, fehlt es Unternehmen an Vorhersehbarkeit, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Dies führt dazu, dass Unternehmen das Risiko der Gründung einer Betriebsstätte im Wohnsitzstaat des Grenzgängers und die damit einhergehenden Verpflichtungen nach dem Steuerrecht des jeweiligen Staates befürchten (Bsp. Abführung von Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, Einkommen- oder Umsatzsteuer, zusätzliche Buchhaltung und/oder Steuererklärung im anderen Staat).
Für den Fall, dass die Gründung einer Betriebsstätte bestätigt wird, hätte dies zur Folge, dass Unternehmen ihren beschäftigten Grenzgängern die Ausübung der Telearbeit nur eingeschränkt oder gar nicht gestatten.
Eine Betriebsstätte kann dabei durch zwei Situationen begründet werden: durch das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung sowie durch das Tätigwerden eines abhängigen ständigen Vertreters.
Das Risiko der Konstituierung einer Betriebsstätte durch die feste Geschäftseinrichtung bei grenzüberschreitender Telearbeit schätzt die TFG 3.0 derzeit als gering ein. Als höher eingeschätzt, wird dagegen das Risiko der Gründung einer Betriebsstätte durch die Tätigkeit eines abhängigen ständigen Vertreters. Für die Beurteilung der Gründung einer Betriebsstätte durch die grenzüberschreitende Telearbeit bedarf es jedoch einer Einzelfallprüfung, sodass sich hierüber keine allgemeingültige Aussage treffen lässt.
III. Empfohlene Lösungsansätze der TFG 3.0
Um dieses Mobilitätshemmnis zu beseitigen, schlägt die TFG 3.0 folgende Lösungsansätze vor:
❖ Praktische Ansätze
➔ Einführung bzw. Vereinfachung des Auskunfts- / Reskriptverfahrens für den Fall der grenzüberschreitenden Telearbeit
➔ Veröffentlichung der Entscheidungen im Auskunftsverfahren bzw. Reskriptverfahren in allen Teilen der Großregion, wie dies z.B. bereits in Frankreich, Luxemburg und Belgien der Fall ist
❖ Bilaterale oder großregionale Ebene:
➔ Abschluss eines Abkommens mit folgenden Regelungen:
- Vereinheitlichung des Begriffs der Betriebsstätte und deren Auslegung im Fall der grenzüberschreitenden Telearbeit
- Einheitliche Regelung, ob und unter welchen Voraussetzungen durch die grenzüberschreitende Telearbeit eine Betriebsstätte im Gebiet der Großregion begründet wird
- Definition eines grenzüberschreitenden Gewerberaums oder Korridors in der Großregion, in dem die Gründung einer Betriebsstätte ausgeschlossen ist, sofern die Tätigkeit innerhalb dieser Zone erfolgt
❖ Ebene der OECD
➔ Präzisierung der Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte für die Fälle der grenzüberschreitenden Telearbeit
➔ Anpassung der Kriterien der Betriebsstättengründung an die Umstände und Gegebenheiten der heutigen, durch die Digitalisierung und Mobilität stark veränderten, Arbeitswelt
➔ Präzisierung und Berücksichtigung des Kriteriums der wirtschaftlichen Ausrichtung der unternehmerischen Tätigkeit auf den Markt des anderen Staates im Fall der grenzüberschreitenden Telearbeit
❖ Nationale Ebene
➔ Veröffentlichung einer Mitteilung der Steuerbehörden der Staaten der Großregion darüber, wie die Situationen der grenzüberschreitenden Telearbeit gehandhabt werden und worauf Unternehmen, die Grenzgänger beschäftigen achten müssen
➔ Erleichterung der Ausübung der grenzüberschreitenden Telearbeit durch die unmissverständliche Stellungnahme zu den Auslegungskriterien für die Konstituierung einer Betriebsstätte in Fällen grenzüberschreitender Telearbeit
➔ Ergreifung von Maßnahmen auf nationaler Ebene, die es ermöglichen die grenzüberschreitende Telearbeit eigenständig und schnell zu erleichtern
➔ Vereinfachung der administrativen Abläufe und Errichtung von einheitlichen Anlaufstellen („One Stop Shops“) in jedem Mitgliedsstaat, die sowohl die Funktion einer Beratungs- und Informationsstelle als auch die einer Antragsstelle für Unternehmen übernehmen
Link zum Rechtsgutachten:
Konstituierung einer Betriebsstätte bei grenzüberschreitender Telearbeit in der Großregion → www.arbeitskammer.de/TFG-Betriebsstaette2023
Weitere Veröffentlichungen der TFG 3.0 zu dieser Thematik:
- Die Telearbeit von Grenzgängern in der Großregion (DE, FR, LUX, BE), April 2020
→ www.arbeitskammer.de/TFG-Telearbeit2020
- Telearbeit von Grenzpendlern in der Großregion - Aktualisierte Zusammenfassung, Oktober 2021
→ www.arbeitskammer.de/TFG-Telearbeit2021
- Multilaterale Rahmenvereinbarung bei grenzüberschreitender Telearbeit von Grenzgängern - Fortschritt im Bereich des Sozialversicherungsrechts, Juli 2023
→ www.arbeitskammer.de/TFG-Multilaterales-Abkommen2023